Bremsen will gelernt sein
Worauf speziell Pedelec-Fahrer nicht nur im Straßenverkehr achten müssen
Die Fortbewegung auf einem Pedelec wie dem Eskute Polluno Pro oder dem Netuno Pro ist eine höchst angenehme Angelegenheit. Dank der unterstützenden Kraft des mit Strom betriebenen Motors kann man sich im Sattel mehr auf die Umgebung und die schöne Natur konzentrieren – schließlich hilft einem ein stets einsatzwilliger Assistent dabei, entspannt durch die Ebene zu rollen und mit nur mäßiger Anstrengung auch ziemlich steile Steigungen zu bewältigen. Ein echter Vorteil, den immer mehr Menschen für sich entdecken. Kein Wunder: Schließlich gibt es dieses wunderbare Gefühl des mühelosen Vorwärtskommens etwa bei den in unabhängigen Tests immer wieder sehr gut bewerteten Eskute-Modellen schon für vergleichsweise sehr wenig Geld.
Wie gesagt: Kein Wunder, dass der Siegeszug der Pedelecs und der E-Bikes nicht zu stoppen ist und eher noch an Tempo zulegt. Doch dabei darf man die Kehrseite der Medaille nicht außer Acht lassen: Wenn immer mehr Menschen, von jung bis reif, die Faszination des Pedelec-Fahrens für sich entdecken, kommt es zwangsläufig auch zu mehr Unfällen. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) sprechen leider eine deutliche Sprache: So verunglückten im Jahr 2021 mehr als 17.000 Nutzer und Nutzerinnen von Pedelecs. Und: Mehr als 130 Personen verloren dabei ihr Leben. Statistisch unabhängige Zahlen zu der Frage, in wie vielen Fällen von schweren oder gar tödlichen Unfallverletzungen Fehler beim Bremsvorgang eine entscheidende Rolle gespielt haben könnten, gibt es zwar bisher noch nicht. Doch eins ist klar: Falsche Verzögerung, und zwar entweder zu schwach oder zu stark, dürfte einen nennenswerten Anteil an den Unfällen haben.

Die Bremsen müssen immer fit sein
Deshalb lautet das Gebot der Stunde für Einsteiger oder für versierte Zweiradfahrer: Sie müssen dem Thema Bremsen die ihm zustehende hohe Priorität einräumen. Klar ist schon mal, dass es mehr als nur fahrlässig ist, mit nicht optimalen Bremsen auf Tour zu gehen. Wenn sich also die Bremsgriffe immer weiter ziehen lassen, ohne dass ordentlich gebremst wird, wenn beim festen Zug am Hebel quietschende und schleifende Geräusche zu hören sind: Dann nichts wie ab in die Fahrrad-Werkstatt. Wer hier Zeit schindet und die Kosten vermeiden will, spielt mutwillig mit seinem Leben. Die körperliche Unversehrtheit ist ein hohes Gut – ein paar Euro für den Fahrrad-Mechaniker sind gut angelegtes Geld.
Dabei ist das Thema Bremsen gerade für die Menschen besonders wichtig, die neu aufs Pedelec steigen. Und speziell für solche, die möglicherweise vorher eine lange Zeit gar nicht auf zwei Rädern unterwegs waren. Denn die besonderen Gesetze der Physik auf dem Rad sind das eine, die unterschiedlichen Voraussetzungen auf einem analogen und einem mit Strom unterstützten Fahrrad sind das andere Thema, dem sie sich beim Fahren stellen müssen. So sind Pedelecs, die üblicherweise als E-Bikes bezeichnet werden und bis 25 km/h mit „Rückenwind“ von einem E-Motor unterwegs sind, meist deutlich schwerer als „normale“ Fahrräder. Und ihr Schwerpunkt liegt meist deutlich höher, weil der gewichtige Akku eigentlich grundsätzlich über den Pedalen angeordnet ist. Die Folge: Beim Verzögern bauen sich ungewohnt starke Fliehkräfte auf. Und die müssen in den Griff bekommen werden, damit es nicht zum unfreiwilligen Absteigen kommt.
Moderne Stopper sind sehr effektiv
Was noch dazu kommt: Bei einem neuen, modernen Fahrrad, ob analog oder digital, sind meist Bremsen verbaut, die mit denen an alten Bikes kaum mehr zu vergleichen sind. Wer über viele Jahre an Felgenbremsen mit ihrer wenig überzeugenden Verzögerungsleistung gewöhnt war, wird bei den ersten Bremsversuchen mit einer modernen, hydraulischen Scheibenbremse sein blaues Wunder erleben. Denn was diese kleinen Helfer am Rad zu leisten im Stande sind, ist wirklich beeindruckend. Und für ungeübte Nutzer erst einmal gar nicht so einfach zu bedienen.
Deshalb raten Fachleute Neu- oder Wiedereinsteigern auf zwei Rädern dazu, sich langsam, Schritt für Schritt, an die Fähigkeiten ihrer neuen Verzögerungsanlage heran zu tasten. Mit dem von der Felgenbremse her gewohnten Druck sollte man jedenfalls seine Testbremsungen nicht starten, denn das könnte schief gehen. Die Scheibenbremsen arbeiten mit deutlich niedrigeren Kräften, sie lassen sich leichter dosieren und sind deutlich standhafter. Das kommt gerade auch reiferen Novizen auf dem Pedelec zugute, die nicht mehr so kräftig zupacken können wie in jungen Jahren und trotzdem sehr gute Bremswerte zustande bringen. Aber natürlich erst mit einiger Übung.
Üben, üben, üben lautet die Devise
Weil beim starken Verzögern das meiste Gewicht auf dem vorderen Reifen liegt, kann der auch die höhere Verzögerungskraft auf den jeweiligen Untergrund bringen. So kann die Vorderbremse bis zu zwei Drittel der möglichen „negativen Beschleunigung“ beitragen. Das Problem dabei: Wer es damit übertreibt, landet schnell auf dem Boden der Tatsachen. Ganz einfach, weil er aus dem Sattel geworfen wurde. Also hilft nur: üben, üben, üben! Die saubere Technik bei einer Gefahren- oder Vollbremsung ist keine Zauberei, man beherrscht sie aber auch nicht von alleine. Wer zuerst einmal wissen will, welchen Anteil seine hintere Bremse zu leisten im Stande ist, kann sich mit immer kräftigerer Verzögerung auf unterschiedlichen Untergründen bis hin zum Blockieren des Hinterrads an das Maximum herantasten. Dabei hilft in der Praxis eine Art analoges Anti-Blockier-System (ABS): Wenn das Hinterrad blockiert, lässt man den Bremshebel kurz los, wenn es dabei zu weit ausbricht und bremst anschließend gleich wieder. Beim Auto nennt man das Stotterbremse.
Diese Übung ist allerdings beim Herantasten an die Grenzen der Vorderrad-Bremse nicht empfehlenswert. Denn wie gesagt neigt das Zweirad dazu, den Piloten ruck-zuck abzuwerfen, wenn er es mit der Verzögerung vorne übertreibt. Wer dabei nur mit leichten Blessuren im Straßengraben landet, hat noch Glück gehabt. Und wer einmal wegen eines blockierten Vorderrades auf grobem Schotter und in starkem Gefälle unfreiwillig nach vorne von seinem Pedelec abgestiegen ist wie der Autor dieses Blogbeitrags, der weiß sehr genau über die dabei auftretenden Gefahren Bescheid. Dazu über die Notwendigkeit, einen Helm zu tragen – und weiter bei jeder sich bietenden Gelegenheit das sichere Bremsen zu üben. Ein Tipp: Wer sich schwer damit tut, sich auf ein Rad mit zwei hydraulischen Bremsen umzustellen, sollte sich nach einem Pedelec mit der gewohnten Rücktrittbremse oder Scheibenbremse umschauen – die sind noch bei einigen Tiefeinsteiger-Modellen zu finden.

Vorsicht auch losem Untergrund und bei Nässe
Wer möglichst schnell und sicher bremsen will, muss beide Handbremsen gleichzeitig betätigen. Und das in der durch reichliches Trainieren im wahrsten Sinn des Wortes „erfahrenen“ passenden Dosierung. Wobei die natürlich sehr stark vom jeweiligen Untergrund abhängig ist. Auf Asphalt lassen sich nun mal deutlich höhere Verzögerungskräfte übertragen als auf Schotter. Wichtig ist es, auf losem, glatten oder nassen Untergrund die vordere Bremse möglichst vorsichtig einzusetzen, um ein Überbremsen samt unfreiwilliger Rutschpartie zu vermeiden.
Eine wichtige Rolle spielt bei Not- oder Gefahrenbremsungen auch die Körperhaltung der Fahrerin oder des Fahrers. Statt stocksteif im Sattel zu sitzen und der Gefahr gebannt entgegen zu sehen, ist Action angesagt: Raus aus dem Sattel, Gesäß nach hinten und den Schwerpunkt des Körpers ein Stück weit hinter dem Sattel platzieren. Dazu sollten die Arme und Beine annähernd gestreckt sein und sich gegen Lenker und Pedale abstützen. Wichtig: Um noch Spielraum für kleine Richtungs-Korrekturen zu haben, sollten die Arme nicht ganz durchgestreckt werden. Weil es die modernen Stopper erlauben, ihre Möglichkeiten mit nur zwei Fingern komplett abzurufen, kann der Lenker auch im Gefahrenfall noch fest von der Hand umschlossen werden – das schafft zusätzliche Sicherheit.
ABS verhindert den Überschlag
Das analoge ABS haben wir schon erwähnt. Aber wie schaut es mit dem elektronischen Blockierverhinderer aus? Der wird inzwischen von mehreren Herstellern in zweiter Generation angeboten und hat erst einmal einen unerwarteten Nebeneffekt: „Normale“ Bremsvorgänge ohne Einsatz der Elektronik verlängern sich etwas – darauf weisen die Fahrrad-Hersteller aber auch ausdrücklich hin. Im Gefahrenfall verhindern gute ABS-Systeme, die es für rund 500 Euro gibt, blockierende Räder auf losen Untergründen wie Schotterwegen. Und sie erfüllen noch eine nicht unerhebliche Funktion: Sie verhindern im Rahmen des physikalisch Möglichen das Abheben des Hinterrads und im Zweifelsfall einen Überschlag des Fahrzeugs samt Fahrerin oder Fahrer.